Aktuelle Regelungen zur Arbeitszeiterfassung

Aktuelle Regelungen

Arbeitszeiterfassung und Zukunftsausblick

I.
Mit Urteil vom 13. September 2022 (Az.: 1 ABR 22/21) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) die bis dahin gemachten Planungen hinsichtlich der Weiterentwicklung des Arbeitszeitgesetzes der Bundesregierung umgeworfen. Bereits 2019 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) unter dem Az.: C-55/18 im Rahmen einer Verbandsklage, angetrieben durch die CCOO, einer durchaus bedeutenden Arbeitnehmergewerkschaft in Spanien, gegen die Deutsche Bank, dass der Arbeitgeber verpflichtet sei, ein objektives, verlässliches und zugängliches Zeiterfassungssystem im Unternehmen zu implementieren. Insbesondere verwies der EuGH auf Art. 31 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, welcher jedem Arbeitnehmer und jeder Arbeitnehmerin nicht nur das Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen sichert, sondern auch das Recht auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit sowie tägliche und wöchentliche Ruhezeiten und bezahlten Jahresurlaub. Auch stellte der EuGH deutlich klar, dass sich der Arbeitnehmer in einer unterlegenden Position befindet und damit als besonders schützenswert erachtet wird. In Kumulation mit der bisherigen Rechtsprechung, setzt der EuGH mit diesem Urteil seine arbeitnehmerfreundliche Rechtsprechung fort. Der EuGH begründet seine Entscheidung mit der faktisch unmöglichen Beweisbarkeit der tatsächlich entrichteten Stunden des Arbeitnehmers und damit einer fehlenden (gerichtlichen) Durchsetzungsmöglichkeit des Arbeitnehmers.

Urteile des EuGH, soweit sie im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) ergangen sind, dienen zunächst dazu, dem vorlegenden nationalen Gericht die Entscheidung im Ausgangssachverhalt zu ermöglichen. Grundsätzlich bindet die EuGH-Entscheidung durch die Auslegung des Rechts der Europäischen Union nur das anfragende Gericht, dessen Urteil wiederum theoretisch nur für den entschiedenen Einzelfall gilt. Die faktische Wirkung eines EuGH-Urteils ist jedoch ungleich größer, sie geht weit über den einzelnen Sachverhalt, der zur Vorlage geführt hat, hinaus. Da der EuGH für alle Mitgliedstaaten verbindlich das Recht der Europäischen Union auslegt, gilt die Norm des Rechts der Europäischen Union, so wie sie durch die im Urteil verkündete Auslegung zu verstehen ist, für alle Mitgliedstaaten und − in der Regel − ex tunc, d. h. rückwirkend. Anders formuliert: Der EuGH stellt fest, wie eine Vorschrift des Rechts der Europäischen Union immer schon und von allen hätte verstanden werden müssen.

So auch im Fall der Klage eines Betriebsratsmitgliedes vor dem Bundesarbeitsgericht zum oben genannten Aktenzeichen, welcher per Initiativrecht die Einführung eines elektronisches Zeiterfassungsystems in seinem Unternehmen erreichen wollte. Da der Betriebsrat nach § 87 BetrVG lediglich ein Mitbestimmungs-, jedoch kein Initiativrecht hat, wurde die Klage abgewiesen. Jedoch stellte auch die Präsidentin des BAG während der Verhandlung fest, dass eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung bestünde, wenn man das aktuelle Arbeitszeitgesetz nach Maßgabe des Urteils des EuGH auslegt. Dies wird durch Randnummer 63 des Urteils deutlich, wo durch das BAG nach Maßgabe des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG Arbeitgeber verpflichtet werden, für eine „geeignete Organisation“ des Unternehmens ein System einzurichten, welches den Beginn und das Ende der Arbeitszeit bestimmt sowie die angefallenen Überstunden. Hierdurch besteht eine objektive Handlungspflicht.

II.
Was bedeutet dieses Urteil nun konkret für die Arbeitszeiterfassung in Unternehmen?

Fakt ist, dass Arbeitgeber, die bislang keine Arbeitszeit erfasst haben bzw. dieses nur im Rahmen der Vorgaben des § 16 Abs. 2 ArbZG umgesetzt haben, mithin lediglich die Erfassung der Überstunden, nun ab sofort zu einer wesentlich umfangreicheren Arbeitszeiterfassung verpflichtet sind.  Das Bundesarbeitsministerium (BMAS) steht hierzu auf dem Standpunkt, dass um die Einhaltung der Höchstarbeitszeit sowie der täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten wirksam gewährleisten zu können, der Arbeitgeber Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit aller Beschäftigten aufzeichnen muss. Das BMAS stellt jedoch zum heutigen Zeitpunkt keinerlei Anforderungen an die Art der Erfassung. War im Urteil des EuGH noch von einem „System“ die Rede, ist auch die analoge Erfassung durchaus zulässig.

Bereits vor dem Urteil des BAG im September 2022 hat die Bundesregierung an der Weiterentwicklung des Arbeitszeitgesetzes gearbeitet. Wann jedoch mit einer finalen Änderung des Gesetzes und einhergehend neuen Regelungen über die korrekte Erfassung der Arbeitszeit zu rechnen ist, bleibt abzuwarten und kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantwortet werden. Es ist jedoch davon auszugehen, dass auch die neuen Regelungen des BMAS eher arbeitnehmerfreundlich sein werden. Arbeitnehmerfreundlichkeit würde in diesem Sinne bedeuten, dass eine beweissichere Erfassung erfolgen muss, damit etwaige Ansprüche auch gerichtlich durchgesetzt werden können. Nach hiesiger Auffassung wird daher vermutlich eine elektronische Komponente in der gesetzlichen Arbeitszeiterfassung inkludiert werden. Wir werden die rechtliche Entwicklung mit Argusaugen beobachten und über etwaige Entscheidungen berichten.

III.
Im Rahmen meiner Praxiserfahrung habe ich bereits viele verschiedene Varianten gesehen, die jeweils alle zulässig und geeignet sind:

  • selbstständige Führung eines analogen Nachweises in Papierform durch den Arbeitnehmer,
  • „ClockIn“-Handyapp,
  • digitale Erfassung über z.B. Excel-Tabellen oder per sonstigen Tools.
  • die Stechuhr.

Empfohlen wird nach hiesiger Auffassung, wie bereits oben genannt, in naher Zukunft eine elektronische Lösung für die Zeiterfassung im Unternehmen zu implementieren.

IV.
Am 18. April 2023 legte nun das BMAS einen Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes und anderer arbeitszeitrechtlicher Vorschriften vor. Das Ziel dieser Gesetzesänderung ist die einheitliche Regelung der Erfassung der Arbeitszeit.

Wesentliche Neuregelungen sehen wie folgt aus:

  • Der Arbeitgeber wird gem. § 16 II S. 1 ArbZG-E verpflichtet, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aufzuzeichnen. Diese Aufzeichnung muss tagtäglich mit Ableistung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung erfolgen. Der Arbeitszeitnachweis ist min. zwei Jahre durch den Arbeitgeber aufzubewahren, § 16 II S. 3 ArbZG-E. Auf Verlangen von Aufsichtsbehörden sind die Unterlagen auch am Ort der Beschäftigung bereitzuhalten und vorzulegen.
  • Ebenfalls hat die Aufzeichnung durch den Arbeitgeber zwingend elektronisch zu erfolgen. Ausnahmen hiervon sind u.a. zulässig durch Niederschriften im Tarifvertrag oder nach der Kleinstbetriebsklausel gem. § 23 I S. 3 KSchG, wenn das Unternehmen mithin weniger als zehn Mitarbeiter beschäftigt.
  • Die Vertrauensarbeitszeit bleibt erhalten, da die Delegierung der Erfassung der Arbeitszeit durch den Arbeitgeber an den Arbeitnehmer erfolgen darf, § 16 III ArbZG-E. Etwaige Verstöße gegen die Vorgaben des öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzes muss sich jedoch weiterhin der Arbeitgeber zurechnen lassen.
  • Gemäß § 16 V ArbZG-E hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Einsicht in die aufgezeichnete Arbeitszeit. Zudem ist ihm auf Verlangen eine Kopie dieser Aufzeichnungen auszuhändigen. Hiermit wird die Geltendmachung von Ansprüchen aus Mehrarbeit für den Arbeitnehmer deutlich erleichtert.

Zudem sollen nach § 16 VIII ArbZG-E Übergangsregelungen inkludiert sein. So soll zwar die Aufzeichnungspflicht sogleich in Kraft treten, die Pflicht zur elektronischen Aufzeichnung der Arbeitszeit soll jedoch erst ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes erfolgen. Für Arbeitgeber mit weniger als 250 Arbeitnehmenden verlängert sich diese Übergangsregelung auf zwei Jahre, für Arbeitgeber mit weniger als 50 Arbeitnehmenden auf immerhin fünf Jahre.

Neben weiteren redaktionellen Änderungen im ArbZG und in der Offshore-Arbeitszeitverordnung werden die vorstehenden Änderungen auch auf das JArbSchG übertragen.

Ergebnis:
Der Referentenentwurf des BMAS enthält nach dem Urteil des BAG und des EuGH erwartbare Änderungen. Zu begrüßen ist der Schritt hin zur Digitalisierung durch die zwingende elektronische Erfassung. Unternehmen sollten sich mit den geplanten Änderungen intensiv auseinandersetzen, da das Gesetz bereits mit dem Beginn des Quartals nach Verkündung des Gesetzes in Kraft treten soll. Dies wäre dann frühestens der 01. Juli 2023. Änderungen sind im Gesetzgebungsverfahren durchaus möglich.

Bei weiteren Fragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung!